Ein Gewinner, viele Verlierer

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Hat der Wettbewerb als Ordnungsprinzip versagt? Nein, aber wir müssen über Wettbewerbsbedingungen neu diskutieren. Die Gastwirtschaft.

Sommerzeit – Reisezeit. In den glücklichsten Wochen des Jahres machen wir Urlaub vom Markt und vom Wettbewerb. Unter Freunden und in Familie muss sich keiner beweisen. Man kennt sich. Am Strand, auf der Hütte oder in der Schlange vor der Museumskasse sind wir alle fast gleich. Urlaub als Kontrastprogramm. Einfach mal ausspannen und Löcher in die Luft starren.

Den Rest des Jahres dagegen taktet der olympische Wettstreit unseren Alltag: Top Performance am Arbeitsplatz, Wettlauf um die neue Wohnung, internationale Vergleichstests an Schulen, Exzellenzerwartungen vom Wissenschaftsministerium, sinnloser Wettstreit in unsäglichen Castingshows. Das macht ganz schön unglücklich, sagen seriöse Studien. Denn bei jedem Wettkampf gibt es nur einen Gewinner und viele Verlierer. Schon der Zweitplatzierte geht leer aus. Ganz zu schweigen von den Heerscharen gesichtsloser Arbeiter und Dienstleister, die den Siegern erst die Bühne und die Rendite bereiten.

Aber auch die Superstars der globalen Konzerne, des Spitzensports und der internationalen Unterhaltungsindustrie stehen gewaltig unter Strom. Die vermarkteten Erwartungen sind gigantisch, die internationale Konkurrenz schläft nicht. Dabei versprechen horrende Gagen, exzessive Bonuszahlungen oder absurde Gewinnbeteiligungen keine nachhaltige Befriedigung, zeigt die Glücksforschung. Einkommen jenseits des Durchschnitts steigern kaum das Wohlbefinden.

Der grenzenlose Wettbewerb nimmt heute surreale Züge an, vor allem an der Spitze der gesellschaftlichen Hackordnung. Wenn Millioneneinkommen locken, sind Untreue (Middelhoff), Betrug (Doping), Machtmissbrauch (#Metoo) oder Vetternwirtschaft (Amigos) nicht weit.

Hat der Wettbewerb als Ordnungsprinzip versagt? Nein, aber wir müssen über die Wettbewerbsbedingungen neu diskutieren. Schauen wir noch einmal auf unsere Urlaubserfahrungen. Wir strengen uns ja an und haben Spaß, wenn wir im Winter am Gästeabfahrtsrennen teilnehmen oder im Sommer beim Beachvolleyturnier mitmachen. Die gemeinsame Anstrengung, begrenzte Folgen und Belohnungen, zweite und dritte Teilnahmechancen und die eindeutige Messbarkeit des besseren Ergebnisses verleihen dem Wettbewerb seine legitime Ordnung und schaffen durchaus Glücksmomente. Oder liege ich da etwa falsch?

Die Autorin ist Soziologin. Sie arbeitet derzeit am European University Institute.

„We are all in this together“?

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Die Pandemie trifft nicht alle Menschen gleich schwer. Umso wichtiger ist unsere Solidarität – beim Eindämmen der Verbreitung, bei der Bekämpfung der Ursachen und beim Ausgleichen der sozialen Folgen.

Corona hat uns allen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die einen mussten ihren Skiurlaub in den Alpen streichen, andere ihren Businessflug nach London, viele saßen zu Hause mit der gesamten Familie fest – im besten Fall im „Homeoffice“. Wir alle konnten nicht mehr im Biergarten oder in der Eckkneipe einen der vielen lauschigen Frühlingsabende mit Freunden genießen. „We are all in this together“, tönt es neudeutsch in den sozialen Netzwerken. Aber das stimmt nicht.

Corona hat einige Länder und einige Regionen härter getroffen als andere – wir erinnern uns noch an die Konvois von Leichenwagen im lombardischen Bergamo. Die Pandemie forderte Ärzte und Pfleger auf den Lungen- und Intensivstationen und die vielen Helden des Alltags, die die Versorgung mit Lebensmitteln aufrechterhalten haben, während Wirtschaft und Gesellschaft auf Sparflamme heruntergefahren wurden. Viele verloren und verlieren ihre Jobs, viele gingen in die Kurzarbeit, andere hingegen sparten sich nur die mühselige Anfahrt zur Arbeit und das schicke Büro-Outfit.

Aber anders als bei wirtschaftlichen Verteilungskonflikten zeigen sich die Regierungen in diesem Katastrophenfall jetzt großzügig. Vergessen ist das Mantra der schwarzen Null. Bundesfinanzminister Olaf Scholz holt seine Euro-Bazooka aus dem Regal und Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt ihre europäische Zurückhaltung zurück. Staatsschulden kommen wieder in Mode. Und das ist auch gut so! Denn Schulden sind ein Vertrauensbeweis. Wenn die Gläubiger auf unseren Staat und auf Europa vertrauen, dann sollten wir es auch tun.

Pandemien sind kein unwahrscheinlicher Unglücksfall. Im Gegenteil. In Zeiten wachsender Städte und globaler Mobilität haben Viren und Bakterien, die sich auf Menschen spezialisieren, ein leichtes Spiel. Umso wichtiger ist unsere Solidarität – beim Eindämmen der Verbreitung, bei der Bekämpfung der Ursachen vor allem durch Impfen und beim Ausgleichen der sozialen Folgen und Ungleichheiten.

Wenn uns das gemeinsam gelingt, empfinden wir uns als Teil eines größeren Ganzen. Und das macht glücklich. Aristoteles nannte es Eudämonie. Wir sind also ganz bei uns und trotzdem in guter Gesellschaft. „We are all in this together“, wenn wir das anpacken.

Die Autorin ist Soziologin. Sie arbeitet derzeit am European University Institute in Florenz.